In der Fernsehserie «Tschugger» überzeugt sie als Schauspielerin. Vor fünf Monaten wurde sie Mutter. Und jetzt erscheint ihr sechstes Album: Bei Anna Rossinelli tut sich einiges. Im Interview schaut die Baslerin zurück, nach vorn – und verrät, was es mit ihrer Playlist «Badass Women» auf sich hat.
Interview: Christoph Soltmannowski.
Interview: Christoph Soltmannowski
Foto: Sophia Lavater
Anna Rossinelli, es tut sich viel bei dir. Bald erscheint dein neues Album – und bald bist du endlich wieder mit deiner Band auf Tour. Ausserdem bist du Mutter geworden. Dein Album heisst «Mother» – ein Rückblick?
Anna: Genau. Doch das Album heisst nicht nur «Mother», weil ich Mutter geworden bin – sondern weil die Geburt sozusagen der Anfang von allem ist. Zurück zu den Wurzeln. Mit der Frage: Was sind eigentlich meine Wurzeln?
Anna Rossinelli: Am 20.4.1987 in Basel geboren, liebte es Anna Rossinelli bereits als Kind, zu singen und vor Publikum aufzutreten. Nach dem Besuch der Jazzschule tourte sie ab 2008 mit Manuel Meisel und Georg Dillier. Was mit Strassenmusik begann, gipfelte in mehreren Alben, zahlreichen Awardnominationen, mitunter wurde sie mit dem Swiss Music Award und dem Prix Walo ausgezeichnet. In der TV-Serie «Tschugger» spielt Anna Rossinelli die Rolle der Bundespolizistin Annette Brotz.
In deinen Songtexten geht es auch um deinen Vater, den du als Sechsjährige verloren hast.
Anna: Dazu ist Musik für mich da. Ich verarbeite gewisse Dinge damit. Und weil ich gerade Mutter geworden bin, kommen solche Themen – auch aus meiner Kindheit – wieder hoch. Wie wird mein Kind aufwachsen? Was möchten mein Partner und ich unserem Kind mitgeben? Wie gehen wir Eltern mit unserer Rolle um?
Der Titelsong ist ein Dankeschön an deine Mutter. Wie hat sie auf den Song reagiert?
Anna: Sie hat geweint. Es hat sie sehr berührt. Auf den früheren Alben habe ich oft über den Tod meines Vaters geschrieben. Aber eigentlich nie über das, was meine Mutter getan hat. Ich glaube, dadurch, dass ich selbst Mutter geworden bin, verändert sich auch die Beziehung zur eigenen Mutter. So schliesst sich der Kreis. Und es war mega wichtig, meiner Mutter zu sagen, was sie alles für uns getan hat, wie stark sie war, als mein Vater gestorben ist.
Mit einem Kind verändert sich das Leben. Die Prioritäten wechseln. Auch bei dir?
Anna: Ich bin seit fünf Monaten Mutter und erlebe eine bedingungslose Liebe. Das ist etwas sehr Schönes. Aber die Musik, mein Beruf, ist meine Leidenschaft. Ich möchte meinem Kind zeigen, dass es wichtig ist, dass ich glücklich bin – dann ist es auch glücklich.
Musikalisch ist dein neues Album frisch, klar, direkt, keine Effekte?
Anna: Wir sind zu unseren Wurzeln zurückgekehrt. Alles hat mit Strassenmusik angefangen. Ohne viel Schnickschnack, nur Gitarre, Bass und Gesang.
Im letzten Song «Too Scared to Stay» besonders gut zu hören.
Anna: Ja, da haben wir nicht wie sonst üblich jedes Instrument einzeln und nacheinander aufgenommen, sondern einfach das Mikro in die Mitte gestellt – das wird so organisch, man hört sogar auch, wenn der Stuhl quietscht.
Seit einiger Zeit hast du eine interessante Nebenbeschäftigung: «Part Time Federal Agent» steht in deinem Instagramprofil.
Anna: Du meinst meine Rolle in «Tschugger».
Genau! Wolltest du schon immer Schauspielerin werden?
Anna: Es war immer ein Hobby. Als ich klein war, spielte ich im Kindertheater mal einen der sieben Zwerge. Nie hätte ich gedacht, dass ich das mal beruflich machen würde. Ich wurde während Corona angefragt – perfektes Timing.
Der Beginn einer zweiten Karriere?
Anna: Das kam sehr spontan und nicht geplant. Die Musik ist mein erstes Standbein und wird es immer bleiben. «Tschugger» ist eine mega geile Serie. Ich finde sie saulustig.
Als Darstellerin der Bundespolizistin Annette Brotz kommst du gut an.
Anna: Ich habe keine Ausbildung als Schauspielerin. Sie haben einfach das Beste aus mir herausgeholt. Ich glaube, David Constantin, der Hauptdarsteller und Regisseur, weiss genau, was er will. Die Atmosphäre bei den Dreharbeiten ist sehr familiär. Ich bin stolz, Teil dieser Kultserie sein zu dürfen.
Was ganz anderes. Auf Spotify habe ich die von dir zusammengestellte Playlist «Badass Women» entdeckt. Mit Songs von Musikerinnen wie Kings Elliot, To Athena, Pilar Vega, Danitsa, Gina Été, Joya Marleen und vielen mehr – vor allem auch von ganz neuen weiblichen Schweizer Musik-Talenten.
Anna: Ich kämpfe dafür, dass Frauen mehr gefördert werden. Deshalb auch die BadassWomen-Playlist. Wir Frauen müssen uns gegenseitig mehr unterstützen – auch mehr Raum geben und nehmen. Dafür lohnt es sich zu kämpfen. Frauen haben oft Selbstzweifel – das kenne ich auch von mir. Männer sind oft viel entspannter – sie machen einfach. Ich würde mir wünschen, dass Frauen sich mehr durchsetzen, mehr Frauen auf der Bühne stehen.
Also sollte man den Frauen mehr Raum geben?
Anna: Ich möchte nicht auf einem Festival spielen, weil ich eine Frau bin. Ich will auf einem Festival spielen, weil ich gute Musik mache und auf die Bühne gehöre. Ich fühle mich überhaupt nicht bemitleidenswert als Frau. Ich fühle mich super. Ich will kein Mann sein. Ich bin mega glücklich, eine Frau zu sein. Und ich liebe Männer. Mit Georg und Manu habe ich zwei ganz tolle Bandkollegen. Wir sind wie Geschwister. Ich mag sie sehr.
In letzter Zeit hat sich einiges getan. Viele neue Musikerinnen sind am Start.
Anna: Wir haben noch immer einen weiten Weg vor uns! In den Statistiken, die «Helvetia rockt» veröffentlicht, ist das Verhältnis Männer/Frauen an den Festivals noch lange nicht ausgeglichen (aktuell: Bühnenpräsenz Frauen: 11 %, Männer 89 %). Das Gurtenfestival aber zum Beispiel beweist, dass es möglich ist. Oft habe ich das Gefühl, dass man uns Frauen einfach den Vier-Uhr-Slot gibt: Wir spielen dann, wenn die Leute kommen – und am Abend dürfen dann die Männer auf die Bühne. Der Kampf ist noch nicht zu Ende. Es gibt sehr viele gute Musikerinnen und auch viele neue Talente.
Das ganze Interview als Videopodcast
Im Gespräch mit event.-Redaktor Christoph Soltmannowski erzählt Anna Rossinelli noch einiges mehr. Sie spricht über die Entstehung ihrer Songs, ihre musikalischen Anfänge, über Meinungsverschiedenheiten in ihrer Band und ihren Umgang mit Kritik.