
Seit 25 Jahren skandalfrei und harmonisch verheiratet: Sting mit Ehefrau Trudie Styler. Die beiden besitzen in der Toscana ein Weingut.
Als Superstar braucht man weder Allüren noch Arroganz – Sting beweist es. Seine Inspiration holt er sich von der Strasse. Im Exklusiv-Interview mit event. sagt der Engländer, wie er die Energie von New York in Musik verwandelt und was er an der Schweiz schätzt.
Sting ist der nette Superstar von nebenan. Im New Yorker Quartier «Hell’s Kitchen» trifft man ihn an der Ampel oder plaudert mit ihm am Würstchenstand. Auch wenn er in Zürich ist, sieht man ihn mit T-Shirt und in Jeans am See entlang spazieren. Als Sohn eines Milchmanns und einer Coiffeuse wurde Sting vor bald 66 Jahren als Gordon Sumner im nordostenglischen Städtchen Wallsend geboren, arbeitete erst als Busfahrer und Bauarbeiter. Wurde dann aber Ende der Siebzigerjahre als Leadsänger, Bassist und auch als Schreiber der meisten Songs von «The Police» ungemein erfolgreich. Ab 1984 setzte er die Erfolgsgeschichte mehrheitlich im Alleingang fort.
Stings Songs kennt jeder, und er wurde dafür reichlich belohnt: 16 Grammys, einen Stern in Hollywood, 2003 adelte ihn die Queen zum Ritter, als Wachsfigur steht er in zahlreichen Kabinetten, wird regelmässig in erlauchte Ruhmeshallen aufgenommen.
Gutmensch Sting: Erfolgreich, skandalfrei, wohltätig seit über vier Jahrzehnten.
Über 100 Millionen Alben hat er verkauft. Sein Vermögen wird auf 220 Millionen Franken geschätzt. Allein sein zweistöckiges Penthouse am 15 Central Park West in New York sei über
56 Millionen Franken wert. Wenn Sting in die Schlagzeilen kommt, hat es meistens was mit seinen vielen Wohltätigkeitsengagements zu tun, nie mit Skandalen. Zusammen mit Trudie Styler, mit der er seit 25 Jahren harmonisch verheiratet ist – gründete er den Rainforest Fund, der sich für die Erhaltung des Regenwaldes einsetzt. Zwischendurch ist er noch Schauspieler oder kümmert sich um den Wein, der auf seinem Landgut in der Toscana produziert wird. So wirkt er auch – dynamisch und aktiv – als ich ihn in seiner Garderobe in der Samsung Hall zum Interview treffe.
Bitte verraten Sie uns Ihr Geheimnis – wie schreibt man einen guten Song?
Nun, immer, wenn ich einen guten Song geschrieben habe, merke ich das sofort – es schwirren dann ganz viele Endorphine rum! Gute Songs haben eine Erzählstruktur, einen Anfang, eine Mitte und ein Ende. Gut auch, wenn da eine Entwicklung in der Struktur der Musik stattfindet, die mit der Story zusammenläuft. Es ist, wie wenn man eine Kurzgeschichte schreibt.
Was ist zuerst da, die Story oder die Melodie?
Mal die Melodie, mal die Story. Manchmal erzählt mir die Melodie eine abstrakte Geschichte, die zwar abstrakt ist, aber eine Bedeutung hat. Ich muss sie dann konkretisieren. Manchmal schreibe ich auch zuerst den Text und mache dann die Musik dazu. Songwriting ist das Erzählen einer Geschichte in drei bis vier Minuten.
Fällt Ihnen das Songschreiben heute schwerer oder leichter als früher?
Es wird schwieriger, denn mit den Jahren wurde ich erstaunlicherweise viel selbstkritischer und dadurch unsicherer. Früher fiel es mir viel leichter, Risiken einzugehen.
Ihr neues Album sei sehr schnell entstanden, wie ich hörte.
Ja, das habe ich mit voller Absicht ganz schnell aufgenommen. Normalerweise hat es kein Ende, wenn ich ein Album aufnehme. Dieser enge Zeitplan gab mir eine Energie, die ich sonst nicht hätte. Ich hab das auch ohne jegliche Vorbereitung gestartet. Früher schrieb ich erstmal die Songs und wusste auch schon, wie sie sich anhören. Diesmal hatte ich nichts. Nur Zeit im Studio. Es war interessant, ein Album aus dem Nichts heraufzubeschwören.
Machen Sie es sich doch nicht so schwer!
Um das kreative Tier in mir zu finden, musste ich die Komfortzone verlassen. Ich bin jeden Tag zu Fuss ins Studio gegangen …
… über die Kreuzung an der 57th Street und der 9th Avenue – daher also der Albumtitel «57th and 9th»?
Ja, ich gehe jeden Tag über diese Strassenkreuzung. Da herrscht sehr viel Verkehr, deshalb muss ich immer stehen bleiben. Ich habe keine Bodyguards, ich habe keine Limousinen. Ich laufe einfach. Leute sagen hallo. New York ist ein sehr cooles Pflaster.
Und dann tun Sie was? Leute beobachten, Leute treffen?
Ja, das ist Hell’s Kitchen! Das ist ein sehr altes Quartier, nicht sehr überbaut. Da dürfen keine Häuser gebaut werden, die höher als sechs Stockwerke sind. Es ist das alte New York. Da spielen sich menschliche Dramen ab, ich höre jeden Tag Storys, es stimuliert, ich liebe das!
Das bringt Ihnen die Ideen für die Songs?
Nicht direkt. Aber es brachte die Energie, die man jetzt auf dem Album spürt.
Sie wohnen aber auch in der Toscana.
Nun ja, da habe ich ein Landgut mit Weinberg. Aber da war ich jetzt schon fünf Jahre nicht mehr. Die meiste Zeit bin ich der «Englishman in New York».
Moment mal! Wie jeder Sting-Fan weiss, geht es in diesem Song doch gar nicht um Sie. Der «Englishman» ist doch der Autor Quentin Crisp!
Das stimmt. Aber seit Quentin 1999 von uns gegangen ist, bin ich der «Englishman in New York».
Heute sind Sie ein «Englishman in Zurich» – wie oft waren Sie eigentlich schon in der Schweiz?
So ganz genau weiss ich das nicht. In Zürich sicher zwölf bis fünfzehn Mal. In Zürich lebt ein sehr guter Freund von mir, der wie ich aus Wallend in Nordostengland kommt. Den besuche ich oft.
Wie gefällt es Ihnen bei uns?
Zürich ist eine wundervolle Stadt. Heute bin ich nur im T-Shirt und in Jeans am See entlang gelaufen, nur zwei bis drei Leute haben mich erkannt. Man kann sich hier frei bewegen, das war schön. Aber auch die Schweiz generell fasziniert mich: Mein Land hat soeben beschlossen, aus der EU auszutreten – auch wenn ich gerne geblieben wäre. In der Schweiz sehe ich, dass es auch ohne geht: Ein Inseldasein zu leben, aber dennoch mit den Menschen und Staaten rundherum Kontakte zu pflegen.
Sie nutzen Ihre Bekanntheit, um sich wohltätig und politisch zu engagieren. Finden Sie eigentlich, dass man als Star moralisch dazu verpflichtet ist?
Für mich gilt das auf jeden Fall. Das wird immer wichtiger. Wenn ein Donald Trump sagt, dass die Klimaerwärmung ein Schwindel ist – der Schwindler ist vielmehr er! Wir müssen was tun!
«Ich wünschte mir, dass die Politiker, die jetzt am Ruder sitzen, smarter wären.» – Sting
Der Brexit, Trump – denken Sie, dass sich die Welt damit zum Schlechten wandelt?
Ich wünschte mir, dass die Politiker, die da am Ruder sitzen, gescheiter wären, einen ausgeprägteren Moralsinn hätten und auch eine grössere intellektuelle Neugier. Sie scheinen aber lediglich an Macht interessiert zu sein. Das passiert in den USA, in Russland, in der Türkei. Meine politischen Ansichten sind liberal und ich schaue nach vorn. Aber alle diese neuen Regierungen kümmern sich nicht um die Zukunft, sie blicken ins Mittelalter zurück.
Und was sagen Sie zu den Veränderungen im Musikbusiness?
Die sind radikal. Jahrzehntelang haben wir Millionen von Vinylplatten, Kassetten und CDs verkauft – jetzt laden sich die Leute die Songs herunter oder streamen sie. Nun ja, ich verkaufe immer noch Alben, aber längst nicht mehr so viele wie früher. Aber die Leute wollen die Shows sehen, deshalb bin ich mehr unterwegs denn je. Aber man weiss noch immer nicht genau, wie man die Musik zu den Leuten bringt. Vielleicht ist Streaming die Lösung. Aber was für die Künstler dabei rausspringt, ist lächerlich.
Kommt das Vinyl zurück?
Das wäre schön, ich liebe Vinyl!
«Ich kann es mir gar nicht leisten, jetzt in den Ruhestand zu treten.» – Sting
Aber ist das Livespielen harte Arbeit oder bringt das auch Erfüllung?
Mein Job ist es, Songs zu spielen, die ich vor 30 Jahren und noch früher geschrieben habe. Mit derselben Energie, derselben Neugier und derselben Passion, als wenn ich sie heute geschrieben hätte. Dabei finde ich immer etwas, das ich noch ändern kann, eine kleine Steigerung draufsetzen, eine Harmonie, eine andere Melodie. Jeden Abend entfaltet sich etwas, das es vorher noch nicht gab. Ich fordere die Band dazu auf, dasselbe zu tun. So entwickeln sich die Songs immer weiter. Das soll so sein, denn sie sind lebendig, und sie sollen keine toten Kunstwerke sein.
Haben Sie eine spezielle Beziehung zu einem Ihrer Songs?
Nein, die sind alle meine Kinder.
Neben Ihren Songs haben Sie auch sechs «echte» Kinder, zwei von Ihnen, Ihr Sohn Joe und Ihre Tochter Eliot, sind ebenfalls als Musiker erfolgreich. Macht Sie das stolz?
Ich habe sie immer ermuntert, Musiker zu werden, aber ich habe sie nie ermuntert, damit berühmt zu werden. Musik ist ein spiritueller Pfad, deshalb habe ich stets gesagt, sie sollen üben und die Musik ernst nehmen. Aber nie habe ich gesagt: «Werdet Stars!»
Ist das Showbusiness schlecht?
Nein, aber das ist nichts, wozu ich meine Kinder anspornen würde. Aber wenn sie das gerne wollen, dann sollen sie es tun.
Sie sind jetzt 65 – im Pensionsalter. Wie lange touren Sie noch?
Ich kann es mir gar nicht leisten, jetzt in den Ruhestand zu treten.
Das glaube ich Ihnen nicht!
Doch, das ist so. Zu viele Abhängigkeiten. Meine Crew. Meine Band – die müssen ihre Hypotheken bezahlen.
Sie touren jetzt ununterbrochen. Denken Sie zwischendurch an neue Songs?
Nein, ich denke immer nur an die Show am Abend. Die Tour dauert etwa bis Weihnachten, erst dann werde ich mich wieder um neue Songs kümmern.
Sind Sie ein Workaholic?
Kein Workaholic, aber ein Worker – ein Arbeiter. Die Arbeit macht mich glücklich.
Zeitlose Klassiker: Die Songs von Sting
Niemand braucht die App Shazam, um diese Songs zu erkennen – seit Jahren werden Stings Kompositionen im Radio und anderswo rauf und runter gespielt. Sie passen zu jeder Gelegenheit, auch ihre Texte haben sich längst im kollektiven Unterbewusstsein eingebrannt.
IF I EVER LOSE MY FAITH IN YOU
Album: Ten Summoner’s Tales (1993)
Geht es um Liebe oder um Gott? Sehr emotional.
IF YOU LOVE SOMEBODY SET THEM FREE
Album: The Dream of the Blue Turtles (1985)
Für einen Song auch den Achtzigern ziemlich sexy.
FIELDS OF GOLD
Album: Ten Summoner’s Tales (1993)
Für manche Leute der beste Song überhaupt, der je gesungen wurde.
ENGLISHMAN IN NEW YORK
Album: … Nothing Like the Sun (1987)
Ein oft gecoverter Klassiker.
DESERT ROSE
Album: Brand New Day (1999)
Sein schönster Song. Wurde auch in der Autowerbung eingesetzt.