Rag’n’Bone Man (32) war im letzten Jahr die Entdeckung des 50. Montreux Jazz Festivals. Danach landete er mit «Human» einen Mega-Hit und gewann den Kritikerpreis der Brit-Awards. Doch der Weg dahin war ein langer.
«Viele Kids wissen gar nicht mehr, was Jazz und Soul sind. Da will ich nachhelfen.»
Wenn man ihn so anschaut, ist man hin und hergerissen. Einerseits erinnert Rory Graham, wie Rag’n’Bone Man mit amtlichem Namen heisst, etwas an einen strengen Türsteher, und gleichzeitig wirkt er freundlich wie der Weihnachtsmann. Graham lässt sich nicht in Schubladen stecken. Auch nicht mit seiner Musik.
Vor mehr als einem Jahr, als das Programm des 50. Montreux Jazz Festivals vorgestellt wurde, war als kleiner Vorgeschmack ein Newcomer zugegen: Rag’n’Bone Man. Wochen später, bei seinem richtigen Auftritt in Montreux, stand der Brite mit
seiner Debütsingle «Human» schon auf dem ersten Platz der Hitparade.
Rory Graham hat durch seinen ursprünglichen Job gelernt, feinfühlig zu sein.
Die Musik wurde Graham praktisch in die Wiege gelegt: Schon seine Eltern waren musikalisch, sein Vater spielte Gitarre, seine Mutter sang. Graham wuchs in Uckfield, einem kleinen Städtchen im Süden von England auf. Seine Eltern trennten sich früh, er wuchs bei seiner Mutter gemeinsam mit seiner älteren und seiner jüngeren Schwester auf – letztere leidet unter einer geistigen Behinderung.
So arbeitete Graham später, als er noch nicht von der Musik leben konnte, als Betreuer für Asperger-Patienten: «Das war für mich ganz natürlich, ich war schon als Kind umgeben von Menschen, die unter verschiedensten Formen von Autismus litten», verriet er dem deutschen «Spiegel». «Viele glauben, sie könnten das nicht machen, weil sie nicht wissen, wie sie kommunizieren sollen. Aber wenn du dich traust, gibt es dir viel Sinn für Empathie und Mitgefühl. Es ist eine sehr gute Übung, um Menschen vorurteilsfrei zu begegnen.»
Als Teenager entdeckte Graham die Liebe zur Musik, allerdings erst zum Hip-Hop. Mit seinen Freunden nahm er Mixtapes auf, startete sogar einen Piratensender. Schon damals nannte er sich Rag’n’Bonez – eine Anspielung auf die britische Comedy-Serie «Steptoe and Son», in der es um zwei Altwarenhändler ging.
Im Pub wurde ihm alles klar.
Es war ein Bluesabend in einem Pub, der den damals 19-jährigen Graham zum Nachdenken brachte: «Mein Vater überredete mich, in einem Pub zu singen. Danach kam dieser alte Typ zu mir und sagte, dass meine Stimme der Wahnsinn sei und ich mehr singen solle. Diese direkte Reaktion hatte eine grosse Wirkung.» Um sein musikalisches Ziel weiter zu verfolgen, zog es Graham von Uckfield zuerst nach Brighton, später in die Hauptstadt London. Heute lebt er wieder in Brighton.

Etwas mehr als zehn Jahre nach seinem Auftritt im Pub hat es Rory Graham geschafft: Er brachte nach zwei ersten EPs mit «Human» ein umjubeltes Debüt-Album zwischen Blues, Soul und Pop heraus. Es ist moderne Musik, «allerdings mit ein paar Einflüssen von früher», sagte Graham der Luzerner Zeitung. «Viele Kids wissen gar nicht mehr, was Jazz und Blues eigentlich sind. Die hören zuerst meine Musik und fragen sich dann vielleicht, was mich dazu inspirierte.»
Für sein Schaffen wurde er mit dem Kritikerpreis der Brit Awards ausgezeichnet, später erhielt er dazu denselben Preis in der Kategorie «Bester britischer Newcomer», dies allerdings in einer Publikumsabstimmung.
Ein völlig neuer Job kommt auf Rag’n’Bone Man zwischen dem Festivalsommer und seiner Europatournee im September zu: Mit seiner Freundin, mit der er schon acht Jahre zusammen ist, erwartet er ein Kind. Und ein Eindruck ist sicher: Dieses Kind bekommt die schönsten Gute-Nacht-Lieder.