Der israelische Sänger Asaf Avidan (37) wurde zwar durch den Song «One Day» bekannt, öffnet aber nun mit seinem neuen Album «The Study On Falling» eine Tür zu seiner Gefühlswelt. Im Gespräch hat er einiges über seine Vorlieben preisgegeben.
Dein neues Album heisst «The Study On Falling». Was bedeutet Fallen für dich?
Sehr viel. Kürzlich hat mir meine Therapeutin ein psychologisches Konzept zur Studie des Fallens geschickt. Es geht um die Angst vor dem Tod und die Angst, nicht gehalten zu werden. Davon ist viel in dem Album enthalten.
Wie oft fällst du?
Die ganze Zeit. Es gibt ein schönes Zitat: «Wenn wir für immer fallen, zählt es dann immer noch als einzelnes Fallen?» Genau das versuche ich zu machen. Für immer zu fallen.
Dein Song «Green & Blue»: Es scheint, als ob du da nicht von Farben sprechen würdest.
Das Album ist zwei Frauen gewidmet: «Green & Blue». Nach der Trennung von meiner langjährigen Freundin war ich mir sicher, dass ich den Rest meines Herzens nicht mehr in eine solche Beziehung hineingeben will. Dann habe ich «Green» kennengelernt. Sie hat mir eine andere Perspektive bezüglich Liebe, Abhängigkeit und Beziehung gezeigt. Ich spreche von Polygamie. Dabei geht es darum, keinem sozial vorgeschriebenen Modell von Beziehung zu folgen. Gleichzeitig basiert eine solche Beziehung aber auch auf Respekt und Ehrlichkeit. Wir waren zweieinhalb Jahre zusammen. In der Mitte haben wir «Blue» kennengelernt – und wir beide haben uns verliebt.
Wie war das Fallen zu dritt?
Wir haben das Wissen auf die Seite geschoben, dass in dem Moment, in dem wir beginnen, einen anderen Menschen zu lieben, auch sofort Hoffnung, Angst und Unsicherheit aufkommen. Es war ein Versuch, uns endlos fallenzulassen.
Geht es ausschliesslich darum, Liebe zu geben?
Gar nicht. Es geht auch darum, sich selber lieben zu lernen. Auch wenn wir uns unsicher, unsichtbar und wertlos fühlen. Das kommt automatisch in solch einer Dreiecksbeziehung: Man setzt sich ständig mit sich selber auseinander.
Suchst du wieder nach einer polygamen Beziehung?
Ich weiss es nicht. Ich bin jetzt 37 Jahre alt und habe so viele verschiedene Formen von Verbindungen zu Menschen ausprobiert. Ich habe noch nicht wirklich eine Lösung gefunden und denke auch nicht, dass es eine Lösung gibt. Ich habe mit dem Fallen begonnen, und es geht nicht darum, wohin ich gehe, sondern wo ich jetzt gerade bin. Ich lasse mich fallen und schaue, ob ich davon abstürze. Falls ja, ist das okay. Aber jetzt gerade übe ich das Fallen.
«Alles, was ich mit meinen Worten mache, ist: mich mir selber zu erklären.»
Du denkst viel über dich und die Welt im Allgemeinen nach und integrierst das in deine Songtexte.
Die Lyrics sind nur eine Übersetzung von dem, was ich durchmache. Dafür brauche ich sie. Als Werkzeug. Heutzutage gilt Kunst als Freiheit. Ich glaube aber, es ist das Gegenteil: Kunst ist ein Einsperren von Gefühlen in einen Rahmen. In der Musik platzieren wir acht Noten in verschiedenen Positionen, um unseren Emotionen – diesem Nebel der Existenz – eine Stimme zu geben. Alles, was ich durch meine Worte mache, ist: mich mir selber erklären.

Fällt es dir leicht, die richtigen Worte zu finden, um dich dir selber zu erklären?
Ich würde es nicht als einfach bezeichnen. Leonard Cohen hat mal gesagt: «Wenn ich wüsste, woher die Songs kommen, würde ich diesen Ort öfters besuchen.» Ich wünschte, ich könnte dorthin gehen und meine Gefühle übersetzen lassen. Wenn es aber gerade gut läuft, ist es das Einfachste auf der Welt. Aber dorthin zu gelangen fällt mir schwer. Kürzlich habe ich ein Interview mit Leonard Cohen gesehen. Er sagte, dass sein einziger Job als Handwerker sei, seine Werkzeuge scharf zu halten, um jederzeit bereit zu sein.
Hast du beim Musikhören den Drang, Dinge zu verbessern?
Eigentlich ist es genau das Gegenteil. Wenn ich Songs höre, will ich nur meine Gitarre wegschmeissen und nie mehr Musik machen. Ich denke mir dann, ich werde es nie schaffen, so genau meine Emotionen auszudrücken oder zu erzeugen. Ich wünsche mir dann, das auch zu können.
Was macht deiner Meinung nach einen guten Song aus?
Ehrlichkeit. Ich höre so viele verschiedene Musik. Von Klassik über Rock ’n’ Roll zu Hip-Hop und Pop. Wenn ich bei all diesen Genres eine Gemeinsamkeit suchen müsste, wäre das wohl Ehrlichkeit. Meistens wird diese Ehrlichkeit durch Lyrics ausgedrückt. Aber bei Bob Marley zum Beispiel spüre ich seine Ehrlichkeit in der Musik, obwohl ich keinen Reggae mag. Es gibt diese zwei Pfeiler, die mich ausmachen: Bob Dylan und Leonard Cohen. Betrachtet man diese zwei Künstler genau, stellt man fest: Sie wählen ihre Worte sehr genau und verbinden dies mit einer wunderschönen Pop-Melodie. Das ist einfach unglaublich, und alles, was ich auch machen will.
Du reist viel. Wie entspannst du dich?
Auf zwei ganz gegenteilige Arten: Einerseits tauche ich tief in mich selber ein. Ich lese Bücher, die all diese Fragen in mir wecken. Wenn ich genug davon habe, finde ich mich auch in Momenten der typischen Flucht-Unterhaltung wieder. Dann spiele ich Nintendo. Ich versuche das zusammen mit den Jungs zu machen, um ein bisschen in Gesellschaft zu sein.
Wo ist dein Zuhause?
Ich verfolge das Prinzip «Home is where the heart is». Ich hab meinen Koffer voller Kleider, der mich stets begleitet. Ich habe aber in Italien ein Grundstück gekauft und habe zwei Pferde, zwei Hunde und eine Katze. Dieses Jahr habe ich sogar mein eigenes Olivenöl gemacht. Es ist unglaublich! Das fühlt sich wie zu Hause an. Auch wenn ich nicht immer dort bin, kann ich etwas pflanzen, und wenn ich zurückkomme kann ich es wachsen sehen. Die Tiere geben mir Bodenständigkeit, weil ich sie vermisse und sie mich auch.
Welches ist dein Lieblingsdrink?
Ich trinke viel Whiskey. Ich versuche aber, zum Rum zu wechseln. Das gibt mir ein Gefühl, wie ein Pirat zu sein.